Madame Ernestine und die Entdeckung der Liebe by Francombe Leona

Madame Ernestine und die Entdeckung der Liebe by Francombe Leona

Autor:Francombe, Leona [Francombe, Leona]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann
veröffentlicht: 2015-05-16T16:00:00+00:00


15 – Brandungswellen

Ernestine versuchte unzählige Male, Nelly zu erreichen. Die Nummer schien endgültig stillgelegt worden zu sein. Hatte sie ein neues Telefon gekauft? Das alte verloren? Was tat sie gerade? Und mit wem?

Ernestine machte noch einen Versuch, Balthasars Rachmaninow zu hören, doch sie war zu rastlos und steckte die Platte schließlich zurück in ihre Hülle.

Sollte sie hingehen und Nelly persönlich warnen?

Doch das war heikel. Nelly und Marshall waren jetzt ein Paar. Wenn sie heute Abend noch zum Sablon ginge, würde sie dort ziemlich sicher auch Marshall antreffen. Und das wollte sie um jeden Preis vermeiden.

Ziellos wühlte Ernestine in den Bücherkartons. Sie begann die Bücher auf die Borde zu stellen, die sie aus Harrys Haus gerettet hatte, eine Tätigkeit, die sie sonst liebte, zu der ihr jetzt aber die Zeit oder vielleicht auch die Lust fehlte. Sie war zu müde, um die Bildfetzen festzuhalten, die ihr durch den Kopf gingen: Balthasar, der das Podium verließ; Nellys smaragdgrüner Busen, der sich an Marshall drückte; die verträumte Schneelandschaft rings um die Villa Tosca; die Raben, die wie Richter auf den Ästen hockten.

Die Regale standen unter der Dachschräge, und jedes Mal, wenn Ernestine aufstand, um ein weiteres Buch zu holen, stieß sie sich den Kopf an einem der massiven Dachbalken. Als sie mit Patricks Taschenausgabe der Shakespeare-Sonette in der Hand dastand und nach einem passenden Platz suchte, fand sie, sie habe für diesen Tag genug aushalten müssen, und nahm die Sonette stattdessen mit ins Bett.

Aber erst zog sie noch die Puccini-Platte unter dem Kartondeckel hervor.

Schuldbewusst drehte sie die Plattenhülle um und betrachtete das Foto von Gwendolyn in ihrem Goldlamé-Kleid. Was war nur in sie gefahren, als sie die Platte in ihre Tasche gesteckt hatte?

Seufzend legte sie sie wieder weg. Bleierne Schwere erfüllte sie. Natürlich würde sie die Platte zurückbringen. Und zwar bald. Sie wollte sie nicht einmal mehr hier in ihrer Mansarde haben, sie fühlte sich, als stünde die Göttin selbst irgendwo im Dunkel und rümpfte die Nase über diese erbärmliche grauhaarige, untersetzte Sterbliche. Die noch dazu das Vertrauen ihrer Arbeitgeber missbraucht hatte.

Ernestine legte sich aufs Bett und starrte durch die Dachluke in das kleine Rechteck Nacht. Im Halbschlaf dachte sie darüber nach, wie unterschiedlich man den Begriff Vertrauen doch auslegen konnte. Dabei sollte es gerade bei diesem Begriff nicht so konfus zugehen, dachte sie, während sie sich auf ihrem Metallbett herumwarf.

Nelly zum Beispiel. Wo hatte das Vertrauen geendet, wo die Täuschung begonnen? Oder konnte beides friedlich nebeneinander bestehen? Es gab keine klaren Antworten, nur weitere Fragen. Vertrauensbruch konnte ganz klein anfangen wie eine undichte Stelle im Dach. Es tröpfelt so vor sich hin, manchmal jahrelang, bis die Balken verrottet sind, und dann bekommt man es eines schönen Morgens kübelweise auf den Frühstückstisch.

Nellys Unerfahrenheit und Arglosigkeit hatten sie direkt unter die Kübel geführt. Es hatte unschuldig genug begonnen, mit einem Flirt über die Pralinen hinweg und Gesprächen über das belgische Wetter. Das konnte doch nicht schaden. Das brauchte man nicht einmal seiner Freundin zu erzählen. Doch Pralinen und das Wetter gingen bald in Abendessen,



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